Zum Inhalt springen

Die Bedeutung der Therapietreue für den Heilungserfolg

Die WHO unterstreicht mit dem Begriff Adhärenz die Bedeutung des Festhaltens an Vereinbarungen während eines therapeutischen Prozesses. Dafür bedarf es der besonderen Mitwirkung von zwei Seiten: von Seiten der Patient:innen genauso wie von Seiten der Therapeut:innen. Was können wir aus der Adhärenzforschung für unsere Einzelarbeit mit Yoga ableiten?

„Versuchen Sie es doch mal mit Yoga“, lautet eine häufige Empfehlung aus der Ärzteschaft. Wenn es um Themen wie Heilung und Gesundheitsförderung geht, erleben wir Yogalehrer:innen des ViniYoga Netzwerks in den letzten Jahren kontinuierlich, dass der therapeutische Aspekt von Yoga als wirksames Verfahren empfohlen und „ausprobiert“ wird. Yoga als komplementäre Therapieform gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Übungen für Körper, Atem und Geist sind die Mittel, die im therapeutischen Prozess eingesetzt werden. Passend für die Person und ihr Anliegen ausgewählt, spielen sie in der individuellen Begleitung eine wichtige Rolle. Begleiten wir Menschen mit einer Yogapraxis für das selbständige und regelmäßige Üben, gilt es einen weiteren entscheidenden Aspekt zu berücksichtigen: die persönliche, vertrauensvolle Beziehung der Klientin, des Klienten zum Yogalehrerenden.

Heilung ist ohne die Existenz einer Beziehung zwischen Yogaübendem und Yogalehrendem nicht denkbar. Die Beziehung ist der Boden auf dem Yoga seine heilende Wirkung überhaupt erst entwickeln kann. Es braucht zum einen Zuwendung, Interesse und Kompetenz von Seiten des Yogalehrerenden und zum anderen Vertrauen und Sicherheit von Seiten des Yogaübenden.

Bis vor einigen Jahren wurde das kooperative Verhalten von Klient:innen im Rahmen einer Therapie mit dem Begriff „compliance“ beschrieben. Compliance bedeutet übersetzt: Therapietreue oder (unreflektierte, unkritische) Folgsamkeit gegenüber ärztlichen Empfehlungen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt mittlerweile einen erweiterten Begriff, um diese Beziehungsqualität zu beschreiben: Adhärenz.

Als Adhärenz (lateinisch: adhaerere – sich an etwas anschließen) wird in der Medizin die Einhaltung, der gemeinsam von Patienten und Behandler gesetzten Therapieziele im Rahmen des Behandlungsprozesses bezeichnet. Adhärenz berücksichtigt also den Aspekt, dass für den Therapieerfolg die Mitarbeit beider Behandlungspartner (Patient:in und Ärzt:in bzw. Therapeut:in) notwendig ist. Es ist das Einverständnis, die gemeinsam vereinbarten Therapieempfehlungen nach besten Möglichkeiten einzuhalten.

Voraussetzung dafür ist, dass Patient:in und Therapeut:in gemeinsam die Sichtweise des/r Patient:in auf die Krankheit einbeziehen und die Notwendigkeit der Therapie für angemessen halten.

Die Adhärenzforschung hat in der Medizin bisher vor allem das Verhalten der Patient:innen bei der Medikamenteneinnahme analysiert. Studien ermittelten eine durchschnittliche Adhärenz von zirka 50 Prozent. Das bedeutet, dass die Hälfte der Patient:innen die Einnahmeverordnung nicht korrekt befolgen.

In der Forschung und auch im Therapiealltag lässt sich die Adhärenz bzw. Non-Adhärenz sehr schwer untersuchen. Dennoch konnten in Studien zur Non-Adhärenz durch Befragungen u. a. drei Gründe für Non-Adhärenz ermittelt werden, die auch für unsere therapeutische Arbeit mit Yoga relevant sind:

▪ Unklarheiten des therapeutischen Vorgehens
▪ Barrieren seitens der Patient:innen gegenüber den vorgeschlagenen therapeutischen Interventionen
▪ Qualität der Arzt-Patient:in Interaktion

Was bedeutet Adhärenz demnach in unserer Einzelarbeit mit Yoga?

Yoga als Heilmethode ist im Wesentlichen ein Übungsverfahren. Die/der Klient:in nimmt eine aktive Rolle innerhalb des Yoga-Prozesses ein und wird Expert:in für ihre/seine Erkrankung bzw.  die gestörten Körperfunktionen. Die Yoga-Übungspraxis wird durch eine/n Lehrer:in individuell und ressourcenorientiert konzipiert um das selbständige, gesunde Üben zu ermöglichen. Einfache Übungen und Variantenreichtum, Schmerzfreiheit (soweit möglich) sowie eine Übungsauswahl, die den gestellten Anforderungen gerecht wird (und nicht einer bestimmten Form entspricht) sind wichtige Kriterien der Praxisgestaltung.

Wie kann es gelingen, dass Klient:innen eine regelmäßige Übungsroutine entwickeln und die gemeinsam erarbeitete Yogapraxis angemessen üben?

Qualitative Studien, die die Übungsadhärenz von „Heimübungen“ aus der Physiotherapie evaluierten, decken sich mit unseren Erfahrungen durch Rückmeldungen von Yoga-Übenden: Eine positive oder negative Wirkung der Übungen scheint in vielen Fällen ausschlaggebend für die Adhärenz zu sein. Sammeln Übende gute Erfahrungen mit den Übungen bzw. negative Erfahrungen, wenn sie nicht üben, dann beeinflusst dies die Übungsadhärenz.

In der prozessorientierten Yogatherapie sind die Rückmeldungen zu Übungserfahrungen und Modalitäten der Klient:innen unerlässlich. Wir müssen die Person nicht nur mit ihrem Anliegen und ihren Beschwerden ernst nehmen, sondern auch in ihren Reaktionen auf unsere Therapievorschläge, um diese passend zu berücksichtigen. Im 1 : 1 Setting gehören professionelle Kommunikation in Worten, Körperhaltung und Gesten zum Werkzeug der Yogalehrenden.

Vertrauen in das Yoga-Übungsprogramm und gleichzeitig in die Kompetenz und Fürsorge der Yogalehr-Person beeinflussen das regelmäßige Üben und damit den Heilungsprozess maßgeblich. Vertrauen kann sich aufgrund von positiven Erfahrungen entwickeln.

„Ich habe inzwischen geradezu Freude an den Yoga-Übungen und das beste: ich übe schmerzfrei. Es ist gut zu wissen, dass ich nun meine eigene, maßgeschneiderte Yogapraxis habe und ich werde auf jeden Fall weiter üben. Mit den Strichmännchenzeichnungen weiß ich genau, wie ich üben soll. Auch mit dem Atmen fühle ich mich jetzt sicher. Alle meine Rückmeldungen wurden hier sehr ernst genommen, so dass ich mich wirklich gut bei Ihnen aufgehoben fühle. Danke, dass ich mich jederzeit bei Ihnen melden kann, wenn sich etwas verändert.“

Diese (vorläufigen) Abschiedsworte einer Klientin nach einem fünf Termine umfassenden Yogatherapie-Block resümieren treffend was den therapeutischen Umgang mit Yoga so besonders macht.