Viniyoga – Yoga für den modernen Menschen – Dank an TKV Desikachar
Am 8. August sind acht Jahre vergangen seit dem Tod eines der einflussreichsten Yogalehrer des 20. und 21. Jahrhunderts: TKV Desikachar. Anlass genug, um zu erinnern an einen humorvollen, großzügigen und kreativen Menschen, dem jede Guru- Allüre fremd war.
Anlass aber genauso, daran zu erinnern, was wir, die wir heute im Westen Yoga üben, ihm zu verdanken haben, denn: TKV Desikachar war ein kritischer Geist und wurde so zum Wegbereiter eines modernen Yoga, weithin bekannt unter dem Namen viniyoga.
Viniyoga hat den Menschen im Blick
Der von ihm entwickelte Yoga orientiert sich nicht an den spektakulären Formen bestimmter Yogaübungen. Sondern daran, ob und wie ein Set verschiedener Übungen einen Menschen in seiner von ihm gewünschten Entwicklung unterstützen und Orientierung geben kann. Von diesem Ansatz profitieren Übende in Gruppen und besonders Klient:innen in der therapeutischen Yogaarbeit.
Yoga immer neu prüfen
„Yoga revisited“ – „Yoga immer neu denken“ – so nannte TKV Desikachar sein Anliegen häufig – für sich selbst und als Aufforderung an seine vielen Schüler:innen in Indien und im Westen. Viele traditionelle Wirkerklärungen des Yoga hielten so einer Überprüfung nicht stand, auch wenn sie im Westen in ihrer Exotik viele Anhänger hatten und haben. Viniyoga ist angesichts des heutigen Wissens eine Notwendigkeit.
Die Orientierung des Viniyoga an belegten und transparenten Begründungen für die Wirkungen von Yogapraxis lädt alle Übenden dazu ein, teilzunehmen an der Gestaltung eines modernen Yogaansatzes. Sie lädt ein, sich zu begeistern für das Wunder menschlichen Daseins, das die Erkenntnisse über dessen physiologische und psychologische Funktionen uns immer neu vermitteln.
So wissen wir heute etwa, dass āsana nicht als Form wirksam sind, sondern über die Funktion, die sie für die Übenden haben. Entsprechend gilt es, sie individuell und kreativ abzuwandeln und anzupassen.
Auch wissen wir, dass die Stress-senkenden Wirkungen von Atemübungen ihren Weg ins menschliche System über Einflüsse auf das autonome Nervensystem nehmen. Schematische traditionelle Vorschriften zur Atmenarbeit verlangen Anpassung an das Vermögen, den Bedarf und die Wirkung auf die Übenden.
Meditation muss keiner religiösen Tradition folgen. Über die Beruhigung vegetativer und zentralnervöser Strukturen eröffnet sie den Übenden die Möglichkeit zu Entspannung, Selbstreflexion und Besinnung.
Auch den Grundlagentext des Yoga, das Yoga Sūtra, löste Desikachar mit großer Sachkenntnis und ebenso großem Respekt heraus aus seiner historischen und ursprünglichen philosophischen indischen Bedingtheit. Sein Vorschlag bestand darin, diesen großartigen Text als Inspiration für unser alltägliches Leben und unseren Umgang mit uns und der Welt zu begreifen. Dieser praktische Zugang eröffnet vielen Übenden einen Bereich tiefgründiger Selbstreflexion, Überprüfung ihres gesellschaftlichen Umgangs und ihres Handelns als verantwortungsvolle Individuen.
Desikachars Botschaft – wenn er seinen Unterricht als solche verstanden hätte – an alle, die Yoga lehren und üben, ist also:
Der Yoga kann eine Lebenshilfe sein und bleiben, wenn wir ihn immer neu im Licht unserer neuen Erkenntnisse und Veränderungen überprüfen und anpassen und diese Anpassung dem jeweils besonderen Menschen mit seinem Potentialen und Anliegen zugänglich machen – viniyoga eben.